Licht vorm Anfang des Tunnels
Da waren es also so irgendwas zwischen 60 und 70.000 Demonstrierende gestern in Leipzig. Schon stattlich, wenn man bedenkt, dass die Stadt "nur" 600.000 Einwohner*innen hat. Ich finde ja so Teilnehmer*innenzahlen immer interessant. Die Veranstalter*innen schätzen natürlich immer möglichst großzügig, die Polizei erfahrungsgemäß immer extrem konservativ. Wie zum Beispiel in Hamburg am Freitag: Die Veranstalter*innen sagen 80.000, die Polizei 50.000 und das Internet addiert einfach beides und macht 130.000 daraus. Auch eine Möglichkeit, haha. Alles in allem sehr beeindruckend, weil es so ein bisschen erahnen lässt, wie viele Menschen das damals bei den Montagsdemos gewesen sein müssen. Okay, ich war ein wenig irritiert, als der OBM bei der Demo in Leipzig dann erstmal anfing, eine AfD-Parole nach der anderen vorzulesen, um sie dann (immerhin) ausbuhen zu lassen. Oder als dann gleich zwei Leute nacheinander erklärten, so ein AfD-Verbot sei vielleicht gar nicht so sinnvoll. Wieso denken eigentlich immer alle, man könne nur ENTWEDER ein AfD-Verbot starten ODER inhaltlich gegen die AfD arbeiten? Von mir aus darf der Protest auch ruhig etwas entschlossener werden. Aber vielleicht sind dafür halt auch einfach zu viele Familys dabei. Und dass die dabei sind, ist andererseits ja auch gut. Aber ich sag mal so ganz salopp: Der Faschismus wird sich vermutlich nicht per Menschenkette verhindern lassen. Und ich will dahingehend auch überhaupt kein Spielverderber sein, weil die Demos ja doch irgendwie ein bisschen Licht vorm Anfang des Tunnels sind, wenn ihr versteht, was ich meine, aber ich hoffe einerseits, dass das nicht die letzte solcher Demos war und zweitens, dass es tatsächlich politisch auch etwas bewirkt.
Denn vom politischen Deutschland bin ich nach wie vor extrem enttäuscht. Eine Großdemo nach der anderen und was macht man im Bundestag? Erstmal Abschiebungen erleichtern. Was macht die BILD? Darüber sinnieren, ob "alle gegen rechts" nicht genau das Gegenteil bewirkt. Was macht Olaf? Auf Insta ein Video online stellen, in dem er zuerst die Demos lobt, nur um danach zu erklären, warum Abschiebungen jetzt richtig geil und wichtig sind. Wenn Politiker*innen nur nette Grußworte via Twitter oder Insta raushauen oder dann trotzdem nichts machen, als AfD-Politik umzusetzen, dann hat das alles nichts gebracht. Ich befürchte, wir werden uns im September ganz schön umgucken. Und dann bin ich gespannt, wie viel Brandmauer dann noch bei der CDU übrig sein wird, die sich passenderweise auch gar nicht an den Demoaufrufen beteiligt hat. Oder wenn ich diesen halbgaren Twitter-Post von Michael Kretschmer lese, der im Endeffekt nur sagt: "Selbst ich kann die ganzen Demos jetzt also leider nicht mehr ignorieren, obwohl wir als CDU uns extra nicht an den Aufrufen beteiligt haben. Aber hier wegen Ausländer: Die sind bei uns willkommen. Also, wenn sie nützlich sind. Und wenn wir dann im Herbst über eine Koalition mit der AfD nachdenken (ihr wisst schon, "demokratisch entzaubern" und all der Bullshit), dann ist das übrigens die Schuld der Ampel! Weil ich als Ministerpräsident eines ganzen Bundeslands hab ja praktisch gar keine Macht!" Hab mich darüber auch letztens ein bisschen aufgeregt.
Ich frag mich wirklich ernsthaft, was unsere Politiker*innen davon abhält, ein AfD-Verbot auf die Beine zu bringen. Ich sag ja gar nicht, dass man dann nichts stattdessen machen soll. Aber es würde doch zumindest mal zeigen: Wir lassen uns nicht von Faschisten auf der Nase herumtanzen. Und natürlich machen wir weiter gegen euch Welle. Was ist los? Ist die ganze Partei wieder voller V-Leute wie damals die NPD beim ersten Verbotsverfahren? Oder sind in Deutschland derart viele Großunternehmer mit der AfD verbandelt, dass die schon Christian Lindner schon in den Hinterzimmern signalisieren: Wenn ihr die anpackt, packt ihr auch uns an? Ich weiß noch nicht, ob das so ein gutes Ding ist, wenn die Werteunion bzw. Hans-Georg-Maaßen eine Partei gründet und Sarah Wagenknecht noch dazu. Klar, es zersplittert ein wenig die Rechten auf und entlastet die Linke ein wenig von den Verrückten, aber es gibt der AfD auch mögliche Koalitionspartner. Und wenn sie die hätte, weicht es wahrscheinlich die CDU noch weiter ein, einfach, weil sie machtgeil ist. Ich wette, dass sie bald auf den "Also wir können doch nicht 35 % aller Wähler*innen ignorieren"-Zug aufspringen wird.
Eins ist klar: Die AfD besiegt man nicht, indem man sie kopiert oder ausschließlich verbietet. Aber eben auch nicht, indem man sie partout nicht verbietet oder versucht, ihre seit Jahren kolportierten "Sorgen" ernst zu nehmen. Man besiegt sie, indem man ihre Wut zerstört. Und ihre Wut fußt auf real existierender Ungerechtigkeit. Wenn Löhne steigen, wenn Wohnen günstiger wird und du überhaupt mal wieder easy eine Wohnung findest, wenn Zugfahren und ÖPNV wieder erschwinglich werden und nicht dauernd irgendein Industrie- oder Reichensteuersatz zu Lasten der Arbeitnehmer*innen gesenkt wird. Wenn du nicht das Gefühl hast, nur noch für die Fixkosten zu arbeiten. Die AfD hat diese Rhetorik leider voll drauf, nur sehen die Leute leider nicht, dass sie nie und nimmer Politik für die so genannten "kleinen Leute" machen würde.
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Eigentlich stand diese Woche nur eine Sache auf dem Plan: Hörbuch einlesen. Das heißt, jeden Tag um 7:30 Uhr (!) aufstehen. Ich weiß, euch beeindruckt das sicherlich nicht. Aber ich mache diesen unsicheren und nervenaufreibenden Job ja hauptsächlich deshalb, damit ich nach Möglichkeit niemals vor, sagen wir, 9:30 Uhr aufstehen muss (Ich glaube, man sieht es auch an meinem makellosen Teint). Aber 7:30 Uhr ist hart für mich. Schon allein, weil ich bestenfalls 10 Stunden Schlaf brauche mich definitiv nicht motivieren kann, um 21:30 Uhr ins Bett zu gehen wie ein Baby. Gehen Babys um 21:30 Uhr ins Bett? Ich weiß es nicht. Aber ich will ja auch gar kein Baby haben. Egal. Ich liebe ja Hörbuch-Aufnehmen. Das ist praktisch ein kompletter Bonus: Das Buch ist fix und fertig und die Aufnahme ist dann das erste mal Lesen vor Publikum. Okay, vor einem Publikum, das aus zwei Leuten besteht, aber trotzdem!
Was habe ich gelernt? 1) Sobald ich mal eine Seite am Stück geschafft habe, kommen garantiert erstmal zwei Seiten lang nur Verhaspler. 2) Ich spreche leider nur so mittelgutes Hochdeutsch. Okay, isch bin jetz oh nee dor harde Sächsch-Schpreschor, aber es gibt so Wörter, wie zB das Wort "Wörter", da hört man es einfach. Ist aber auch okay. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Hassnachrichten ich bekäme, wenn ich das Hörbuch nicht persönlich einlesen würde. Würde ich aber auch nicht übers Herz bringen, ehrlich gesagt. 3) Diese Hörbuchbranche ist vollkommen wild. Gefühlt 50 % sind nur Bücher über vollkommen banale Fantasy oder Sexfantasien für Hausfrauen. Oder beides. Es gibt ein Buch über eine Sex-Insel, das so absurd wie erfolgreich ist. Eine junge Frau geht bei einer Bootsfahrt verloren und landet auf einer Insel, auf der 8 Lords leben und nur bumsen. Ultraerfolgreich! Und sogar ganz ohne Verlag! Alle drei Monate kommt ein neuer 450-Seiten-Schinken raus. Und die Leute kaufen es wie die Blöden. Und voller Rechtschreibfehler ist es auch. Wenn ich mich hier im Newsletter verschreibe, bekomme ich sofort erboste Mails, wieso ich nicht jemanden einstelle (!), die/der das vorm Rausschicken nochmal Korrektur liest. Und dann gibt es Autor*innen, die kloppen alle drei Monate ein- und dieselbe Geschichte mit veränderten Namen raus, die so voller Fehler ist, dass man eigentlich statt der Fehler eher die korrekt geschriebenen Wörter zählen könnte, und bekommen Minimum 5.000 Rezensionen und werweißwieviele Verkäufe. Ich hasse diese Welt. Aber ich weiß nicht, ob ich tauschen wollen wüdre. Und ja, der war Absicht!
Aber das Hörbuch wird gut. Wir haben viel gelacht. 7 Stunden 42 Minuten werden es.
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Das Ende der TourDo, 29.02.2023 - Magdeburg (Tickets) Sa, 02.03.2024 - Erfurt (Tickets) Fr, 08.03.2024 - Berlin (Tickets) So, 10.03.2024 - Stuttgart (Tickets) Di, 02.04.2024 - Dresden (Tickets) Schluss!
Alle Termine und Tickets hier.
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Also ich will ja wirklich nicht in die Verschwörungsecke abgleiten, in der Nazis vor lauter Lust, irgendeinen Fake aufzudecken, plötzlich sogar Perspektivverschiebungen nicht mehr verstehen, aber warum "die Medien" (tm) letzten Mittwoch so taten, als würde einen Tag später die Eiszeit beginnen und wer am Donnerstag überhaupt auf die Straße gehe, wäre mindestens lebensmüde und dann war es eigentlich nur ein bisschen glatt, naja. Okay, das klingt jetzt natürlich ein bisschen nach "Der alte Mann erzählt von früher und nennt alle, die jünger sind, Weicheier", aber war das nicht wirklich immer so? Also klar, kann man ruhig vor warnen, aber was war das? Winterloch? Gibt ja grad zweifelsfrei genug, worüber man berichten könnte. Genau so, wie es vermutlich genug Leute gäbe, die Caren Miosga zu ihrer Anne-Will-Nachfolge einladen könnte, aber dann Friedrich Merz einladen und ihn dazu zu befragen, wie politische Entscheidungen entstehen? Wird 'ne reichlich kurze Sendung. "Ja, wir gucken, was die AfD fordert, nennen es dann anders und fordern aber im Endeffekt dasselbe." "Okay, danke Herr Merz. Ich hoffe, Sie werden niemals Kanzlerkandidat!" Naja, aber schön sah's aus. Nur ein bisschen zu kalt. Oh je, jetzt schreit der alte Mann wieder die Wolken an.
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Mein neues Buch!
Am 16. April 2024 erscheint mein neues Buch bei Rowohlt! Vorbestellen kann man es im Buchladen um die Ecke oder hier. Tickets für den Zusatztermin der Buchpremiere am 9. November in Leipzig gibt's hier. Weitere Lesungstermine in ganz Deutschland kommen bald!
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Niemand hat mich nach meiner Meinung gefragt, aber ich sage sie trotzdem
#1 The Holdovers Okay ja, es ist quasi ein Weihnachts- oder Neujahrsfilm, aber was soll's, ich hab's halt vorher nicht geschafft, ihn zu sehen. Vielleicht hatte ich auch ein bisschen Angst davor, denn die Rezensionen waren schon wieder ein bisschen ZU überschwänglich und das verheißt ja leider meistens nichts Gutes. Aber: Guter Film. Ganz anders, als ich es erwartet habe, tatsächlich eher dramatisch als komödiantisch. Zu lang, wie immer und braucht erst eine Weile, ehe er in Fahrt kommt, aber dann, als herauskommt, was die drei Hauptpersonen für Geschichten mit sich herumtragen, durchaus gut. Kurze Zusammenfassung ohne Spoiler: Ein Privatinternat, ein äußerst strenger Lehrer, ein Schüler, beide weiß und eine schwarze Köchin, die über Weihnachten im Internat bleiben müssen. Natürlich können sie anfangs nichts miteinander anfangen, aber irgendwann, als sie sich besser kennenlernen, dann doch. Klingt erstmal unspektakulär, ist es auch, aber wenn ich jetzt erklären würde, warum sie Verständnis füreinander entwickeln, dann bräuchtet ihr ihn nicht mehr gucken. Nicht so revolutionär und ultrakrass, wie alle sagen, aber gut. Kann man gucken. So einmal.
#2 Das Lehrerzimmer In einer Schule verschwindet ein Portemonnaie. Natürlich wird erstmal ein Junge mit Migrationshintergrund vom Kollegium verdächtigt, wogegen sich seine Lehrerin aber noch wehrt. Dann aber verschwindet wieder etwas, diesmal aber sogar aus dem Lehrerzimmer. Und weil die Lehrerin eh schon misstrauisch geworden war, hat sie den Diebstahl diesmal sogar auf Video. Und was für ein Drama sich dann entfaltet, davon handelt der Film. Furchtbar gut eingefangene Schul- und Lehrerathmosphäre. Gruselig. Und echt schön ausgearbeitetes Drama, wie so Konflikte im Erwachsenenalter ablaufen, wenn Leute einfach offensichtlich lügen, man aber nichts dagegen machen kann. Das Ende ist ein bisschen mau, schmälert tatsächlich sogar ein wenig den Film, aber sonst, echt gut. Bisschen lang mittendrin, aber das kennen wir ja. Niemand würde heute einen knackigen 75-Minüter machen. Lieber auf 100 Minuten aufblasen, "weil man das halt so macht".
#3 Saltburn Der kleine Zwischen-Weihnachten-und-Silvester-Hype. Beruht leider einzig und allein darauf, dass hier und da ein bisschen der gute Geschmack herausgefordert wird bzw. ein, zwei Konventionen absurd angekratzt werden. An sich eigentlich eine echt nette Wendung. Dafür, dass es am Ende aber doch nur eine "Ich ertrag es nicht, wenn du mit meiner Schwester"-Story ist, aber viiiel zu lang. Plus natürlich den Turn am Ende, den ich wirklich toll fand. Vom look und so weiter alles super, das hat mir sehr gefallen. Dafür allerdings zwei Stunden, nee. Hat mich alles ein bisschen an Triangle of Sadness, The Square, The Menu und co. erinnert. Ja, sich über die Eigenheiten der absurd reichen lustig zu machen, geht schon klar. Aber wenn es NUR das ist, dann wird's halt auch schnell langweilig. Vielleicht reicht's dann jetzt einfach mit dieser Art Film.
#4 Die VIVA-Story Ich hatte immer gedacht, dass ich das erste Musikvideo auf VIVA tatsächlich gesehen hatte. Mit meinen beiden Cousinen. Aber offenbar war es ja doch von den Fantastischen 4 und nicht, wie ich immer dachte, von den 4 Non Blondes. Egal. Echt gute Doku über die Jugend der Generation "Ach du scheiße sind wir alt!" Und irgendwie krass, wenn einen das echt so sehr begleitet hat, dass man praktisch fast alle Moderator*innen kannte. was mir aber nie aufgefallen war: Dass es auch bei VIVA so Wellen an Moderator*innen gab. Mir war gar nicht klar, dass Sarah Kuttner zB erst später dazu kam. Dass Heike Makatsch dann bald weg war, ja, dass Mola eeeewig dabei war. Und dass Pocher schon damals der nervigste Dude des ganzen Senders war. Wie bockig allein sein Interviewpart im dritten Teil ist. Was ein Unsympath einfach. Ein wandelnder Dunning-Kruger-Effekt einfach. Aber bis auf die Parts mit dem blonden Egoproblem wirklich sehenswert.
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Was fehlt:
- Shots fired im Post-Günther-Steiner-Zeitalter bei Haas. Na da bin ich ja mal gespannt, was Komatsu reißen kann in der neuen Saison. Das Auto taugt halt einfach nicht für mehr als das Qualifying, wo es ja richtig gut ist. Und die Fahrer sind entweder zu hitzköpfig oder schrotten einfach jedes Wochenende das Auto. Ich bin gespannt.
- Neeeeiiin, "Der Schuh des Manitu" bekommt eine Fortsetzung. Ich ahne Böses. Ältere Herren, deren Humor vor 30 Jahren stehen geblieben ist und denen man das Botox doch sehr ansieht, machen einfach weiter wie damals. Ich prophezeie mal: Es wird cringe. Ich hoffe wirklich, ich werde eines Besseren belehrt. Aber ich hab das in Deutschland einfach zu oft schiefgehen sehen.
- Warum werden Architekt*innen eigentlich nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn ihre Pläne und die Realität so weit auseinanderklaffen? Ich habe mal einen Artikel gelesen, der sogar Gründe dafür angeführt hat wie zB: Dass in Architekturplänen IMMER bestes Wetter ist. Oder IMMER total viele Leute unterwegs sind. Und dass das in der Realität eben nicht so ist. Finde den Artikel aber leider nicht mehr.
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