Professionelle Unprofessionalität
Eigentlich war's wie immer. Als der große Newsletter-Hype da war, dachte ich: "Geil! Sofort einen Newsletter erstellen und dann wieder meinen Unsinn ins Internet rausschreiben! War doch geil mit dem Blog!" Dann aber kam die Vernunft und ich dachte: "Nee, erstmal abwarten, vielleicht ist das wieder so ein Internetding, bei dem dann erstmal aufspringen und zwei Wochen später interessiert es dann keine Sau mehr. Außerdem ist das ja tatsächlich immer viel Arbeit und wenn die Leute das erstmal cool finden, dann ist das zwar super, aber eben auch schon wieder eine neue Verpflichtung." Zumal ich mich sowieso ungern irgendwo neu anmelde, ehe ich nicht weiß, dass ich das dann auch wirklich benutzen werde und am liebsten alles über meinen eigenen Server mache. Und so lag das Vorhaben also erstmal Brach, nur unterbrochen von der regelmäßig wiederkehrenden Lust, jetzt dringend mal wieder allen Leuten im Internet meine Erlebnisse aufdrängen zu müssen. Bis ich im Sommer auf die Idee kam, meine Internetseite umzubauen, wodurch ich dann auch wieder die Möglichkeit haben würde, ein bisschen mehr im Hintergrund der Seite rumzubasteln und für mich eigentlich nur noch die Frage bestand: Okay, mach ich ein Blog oder eben einen Newsletter? Und weil sich Blogs doch ein bisschen sehr 2010 anfühlen und ich es irgendwie reizvoll finde, wenn ihr das hier direkt in euer Postfach geschossen bekommt, sind wir also hier. Es haben sich jetzt schon weit mehr Leute angemeldet, als ich gedacht hätte. Seit Donnerstag, als ich die Newslettergeschichte öffentlich gemacht habe, macht mein Mailprogramm minütlich "Pling", weil sich wieder jemand angemeldet hat und jedes Mal denke ich: "Oh, eine Mail! Was wird das wohl sein?" Sagen wir so: An diesem Punkt endet auch irgendwie meine Planung. Also ich bin jetzt nicht unvorbereitet. Ein paar Dinge, über die ich schreiben will, habe ich schon gesammelt. Aber ich bin da auch immer ein wenig überkritisch. Ich habe zum Beispiel noch nie gesagt, ich hätte etwas "recherchiert", weil ich dann immer denke, dann müsste am Ende aber auch wenigstens etwas in der Größenordnung des Cum-Ex-Skandals oder so rauskommen. Ich für meinen Teil "such mal eben". Insofern bin ich vielleicht sogar doch ziemlich gut vorbereitet, es kommt nur darauf an, wie kritisch man ist. Ich habe mir zum Beispiel keine Kategorien für den Newsletter überlegt. Klar, mir wäre bestimmt die ein oder andere eingefallen, hätte ich vorher darüber nachgedacht, aber im besten Fall ergibt sich das, während wir unterwegs sind. Und diese Art Kategorie ist mir sogar meistens die liebste. Bei Podcasts heißt es seit einer Weile immer, dass ohne grundlegendes Thema gar nichts mehr geht, weil das dann niemand mehr hört. Und dann sehe ich die angeblichen Themen der ganzen neuen Podcasts und denke: "Ja, gut, nur weil ich eine Kartoffelscheibe in zehn Liter Wasser lege, ist es noch lange keine Kartoffelsuppe." Aber diese Leute "recherchieren" eben sogar ein Rezept für Kartoffelsuppe und machen dann trotzdem eine schlechte. Dann lieber ohne Thema, aber dafür wenigstens unterhaltsam. Insofern: Schön, dass ihr da seid.
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Awkward-Antreh
Meine halbjährliche Lust auf Dino Nuggets überfällt mich. Ich gehe zum Supermarkt und dort sofort zum Tiefkühlschrank, aber keine Dino Nuggets da. Innerliches Verkrampfen, weil sich mein ganzer Körper bereits auf Dino Nuggets eingestellt hat und das jetzt unmöglich rückgängig zu machen geht. In letzter Not checke ich zur Sicherheit noch einmal die Schilder am Schrank und tatsächlich, die Dino Nuggets haben ein Schild. Also nochmal genau in den Tiefkühlschrank geguckt. Und da! Ganz hinten, hinter den zahlreichen Packungen Kentucky Chicken Bites steht eine einsame Packung Dino Nuggets. Ich also Tür auf, Arm rein und losgewühlt. Blind versucht, die Dino Nuggets zu ertasten, aber alles irgendqie quadratisch und dabei schon mindestens vier Packungen Kentucky Chicken Bites aus dem Schrank geschoben. Beim ersten Versuch aus Versehen eine Packung Ottifanten Nuggets herausgeholt (plus noch einmal drei Kentucky Chicken Bites), aber sind wir ehrlich: Die Ottifanten Nuggets sind teurer und haben weniger Inhalt, das ist Betrug! Also nochmal reingegriffen, wie ein Süchtiger gewühlt und dann tatsächlich die Dino Nuggets herausgezogen. Die Tür des Tiefkühlschranks lässt sich nicht schließen, weil überall Kentucky Chicken Bites liegen. Als ich mich umdrehe, bemerke ich, dass mich eine Mitarbeiterin mit hochgezogenen Augenbrauen entgeistert anschaut. Sie: "Na Ihnen sind die Dinos aber sehr wichtig." Jetzt erstmal sechs Monate in irgendeinen anderen Supermarkt gehen.
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Aber sie hat doch recht?
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Letzte Woche wurde diese junge Frau hier durchs Internet getrieben, weil sie auf TikTok über aktuelle Arbeitsbedingungen echauffiert hat, also dass es in manchen Firmen schon als benefit gilt, wenn täglich frisches Obst in der Küche steht, wie wenig eigentlich 20 Tage Jahresurlaub sind und wie sehr wir unser Leben eigentlich der Arbeit opfern. Und dann fuhr der Empörungsexpress auch schon ab. "Die solle sich mal nicht so haben! Typisch junge Leute, alle verweichlicht!" Das übliche Blabla. Wo ich die ganze Zeit dachte: Aber sie hat doch recht? Es ist doch furchtbar, täglich zehn Stunden dafür aufwenden zu müssen, damit man nicht auf der Straße sitzt und verhungert. Und sich dann am Abend schön mit ein paar Bier betäuben, damit man bloß nicht auf den Gedanken kommt, dass das alles ganz schön trist ist. Ich weiß ja, dass man die nach der eigenen Generation folgenden immer ein wenig kritisch sieht, vor allem, weil das Allererste, was sie tun, immer ist, erstmal alle vorherigen Generationen anzukacken dafür, mit welchen Lebenslügen sie sich arrangiert haben, aber: Sie haben ja recht! Meine Millenial-Generation schuftet sich ja trotzdem krumm, obwohl sie es gerade nicht machen wollte. Das darf man meiner Generation schon vorwerfen. Ich finde es gerade gut, wenn Mechanismen des Kapitalismus laut kritisiert werden, statt sich damit zu arrangieren, weil sich der Kredit für die Eigentumswohnung ja nicht von allein bezahlt. Und ich verstehe nicht, wie man jungen Menschen vorwerfen kann, den status quo zu kritisieren und sich für ein besseres Leben einzusetzen, nur weil man sich selbst schmerzlich mit dem status quo arrangiert hat. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass es überhaupt nichts bringt, generationsübergreifend unsolidarisch zu sein, solange trotzdem alle unter den selben systemischen Mechanismen leiden. Aber ich verstehe total, wenn man angesichts der ständigen Vorwürfe gegenüber allen Jüngeren einfach nur zynisch wird. Letztens habe ich einen Tweet gelesen, den ich leider nicht mehr finde. Darin stand sinngemäß: "Diese ganzen jungen Männer sind handwerklich total unbegabt und kriegen nichtmal einen Nagel in die Wand gehauen." "Ja, aber ich kann meiner Tochter wenigstens sagen, dass ich sie liebe."
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Enfin!
Nach vier Jahren und drei Versuchen doch endlich mal wieder nach Paris geschafft. Die ersten beiden Male war Bahnstreik, das dritte Mal Corona und selbst diesmal hat Paris wieder versucht, unseren Aufenthalt zu sabotieren, indem ich einen Tag vor Abreise feststellen durfte, dass das gebuchte Airbnb gar nicht existiert, also im Prinzip schon existiert, aber gar nicht hätte gebucht werden dürfen, obwohl ich es offensichtlich trotzdem gebucht hatte. Fühlt sich schon nicht so gut an, wenn die conciergerie dann einfach sagt: "Ja, sorry, dass sie jetzt keine Unterkunft haben, müssen Sie mal bei Airbnb anrufen, ciaoiiiii!" Aber hey, zu meiner großen Verwunderung habe ich dort tatsächlich mit einem Menschen (!) telefoniert (damit rechne ich in Zeiten übermächtiger Tech-Konzerne schon lange nicht mehr), der noch dazu sehr hilfsbereit war und, nimm das Paris, zwei Stunden später hatten wir sogar eine schönere Unterkunft als vorher. Okay, dafür war das Musée d'Orsay furchtbar. Tut mir furchtbar leid, ich hab das Museum echt geliebt. Aber wer kam auf die Idee, da pro Stunde 5.000 Touris durchzuschleifen und (das Allerschlimmste!) die Impressionisten auf den Dachboden zu verdammen und dann auch noch so einen grausamen "Folgen Sie diesen Pfeilen, machen Sie schnell von jedem Bild ein Foto, dann schnell in den Gift Shop und dann raus mit Ihnen, draußen warten schon 5.000 andere!"-Müll daraus zu machen? Macht leider keinen Spaß mehr.
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Hiermit möchte ich mich nachdrücklich gegen das Gerücht aussprechen, dass in Frankreich niemand Englisch spricht. In Paris gilt das absolut null. Ich versuche ja mit Nachdruck, mir doch nochmal so ein zertifiziertes Mindestens-B2-Französisch drauf zu schaffen und deshalb war es mir natürlich auch ein großes Anliegen, überall ausschließlich Französisch zu sprechen, aber alles, was ich erlebte, war, wie wir uns in eine Brasserie setzten, die Kellnerin kam, ich sagte: "Une soupe à l'oignon, s'il vous plait!" und die Kellnerin in bestem Englisch antwortetE: "Oah yeah, french onion soup! Great choice! USA! USA!" Aber sonst war's schön. Ich komme ja auch langsam in das Alter, in dem ich gern damit prahle, wie viel ich mich bewegt habe. Zwar bin ich noch nicht so weit, dass ich meine Laufrouten in meiner Whatsapp-Story poste, aber ich sag mal so: 100 Kilometer in vier Tagen. Nächster Halt wahrscheinlich: Wanderschuhe.
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Shitshow der Woche
Die AfD versucht, sich vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern ins Gespräch zu bringen, indem sie das tut, was diese Idiotenpartei immer tut: Lügen. Was mich daran am meisten schockiert ist aber etwas Anderes: Nämlich, dass die Wählerschaft dieser Partei mittlerweile so indoktriniert und verblendet ist, dass es ihr sogar egal, wie peinlich schlecht ihre Vorsitzenden agieren. Weidel hat keinen Bock, das dank Brückentag lange Wochenende in Deutschland zu verbringen, fliegt stattdessen nach Malle und inszeniert deshalb ein Bedrohungsszenario, das sie angeblich zwinge, in einem safehouse unterzukommen. Ist natürlich alles gelogen. Aber wie schlecht bitte? Dass Chrupalla zu blöd ist, sich eine anständige Story auszudenken und dann mit dieser lächerlichen Spitzenstory kommt, die sofort offiziell widerlegt wird, das war mir klar. Dafür muss man den nur anschauen. Aber Weidel? Gut, vielleicht darf man der nach der "Ich bin nicht queer, ich habe nur sehr lange eine sehr gute Bekannte"-Aussage, der Spendenaffäre und dem generellen "Wir hassen Schwule, aber dass ich lesbisch bin, hat damit nichts zu tun!" nicht allzu viel Intellekt unterstellen. Aber definitiv noch weniger in der Birne haben die Wähler*innen, die sogar noch eine Vorsitzende feiern, die den Tag der Deutschen Einheit lieber auf Malle verbringt als in good old Germany. Ich versteh's nicht mehr.
Zum Zeitpunkt, da ich das hier schreibe, gibt es noch kein Ergebnis von den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, aber ich bin sicher, sie werden einigermaßen schrecklich werden. Passend dazu empfehle ich die großartige Kurzstrecke von Pierre M. Krause mit Michael Abdollahi, insbesondere diese Stelle.
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Franzi wird's (nicht) richten
War gestern zum ersten Mal ever auf dem Tempelhofer Feld. Okay, ich war da mal auf einem Festival, aber das zählt ja nicht. Es ist jedenfalls genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Das heißt, wie ich es von TikTok kenne. Ein Feld halt, aber schon schön. Ich möchte hier nur nie im Sommer sein, weil ich mich schon nach fünf Minuten komplett Sonnenbrand haben verzweifeln sehe. Es ist eine schöne Oase mitten in der Stadt, die man ruhig mal bewahren könnte. Aber sind wir ehrlich: Franziska Giffey wird das Ding sowas von bebauen. Was ich, zum Teil, bitte noch kurz Warten mit der Steinigung, sogar verstehen könne, WENN es dann halt echten Sozialbau mit echter Durchmischung, echter Mietobergrenze sowie Kultureinrichtungen inklusive Bestandschutz gäbe. Ja, da höre ich die SPD schon lachen. Wird's nämlich natürlich nicht. Mit den Grünen auch bl0ß nicht. Die stimmen am Ende auch für alles Schlechte, müssen aber dazu sagen, dass sie "echt Bauschmerzen" dabei haben. Stattdessen wird's hunderte Mies-van-der-Rohe-Eigentumsverbrechen für seelen- und stillose G-Klasse-Yuppies geben, die dafür dann weiter den "Sag mal deinen Nachnamen"-Bürgermeister und seine Vermieterpartei wählen.
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Noch eine Angst
Letztens schrieb mir ein Freund, dass es jetzt einen Fond gäbe, der einem die Anwaltskosten bezahlt, wenn man von Rechtsextremen angezeigt wird und da habe er an mich denken müssen. Zwei Tage später fragte mich jemand, was eigentlich meine Lieblingsversicherung sei und als ich sagte, das sei so eine Frage, die einem jede*r Lektor*in sofort rausstreichen würde, weil sie einfach komplett unrealistisch klingt, sagte die Person: Na bei dir hätte ich auf Rechtsschutz getippt.
Muss ich mir Sorgen machen?
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Auf Tour
Fr, 03.11.2023 - Dessau (Tickets) Mo, 13.11.2023 - München (Tickets) Do, 30.11.2023 - Essen (Tickets) Fr, 01.12.2023 - Münster (Tickets) Sa, 02.12.2023 - Nordhorn (Tickets)
Alle Termine und Tickets hier.
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Niemand hat mich nach Meinung gefragt, aber ich sage sie trotzdem
#1 Tobias Rüther: Herrndorf Gutes Buch. Ein bisschen viel Geniekult am Anfang. Und irgendwann zurecht darauf hingewiesen worden, dass die Höflichen Paparazzi gar nicht so sympathisch rüberkommen. Aber so war man halt früher im Internet und Selbstbewusstsein werfe ich Menschen eigentlich immer erst vor, wenn es sich am Ende als gar nicht gerechtfertigt herausstellt (was wiederum mittlerweile leider auch auf manchen Höflichen Pararazzi zutrifft). Ich frage mich, ob es jemals so einen Kult gegeben hätte, wenn Tschick nicht so wahnsinnig erfolgreich gewesen wäre. Ich befürchte fast nein. Trotzdem: Habe direkt nochmal Arbeit und Struktur durchgehört. Wahnsinnig toll, diese entwaffnende Ehrlichkeit. Und noch dazu gelesen von the one and only August Diehl.
#2 Sound of Freedom Oft gehört, man müsse den unbedingt sehen. Am Ende, trotz des natürlich wichtigen und Öffentlichkeit verdienenden Themas, ein wenig enttäuscht. Ist halt einfach kein besonders guter Film. Die Story, auch wenn sie so passiert ist, ist leider nicht wirklich spannend und sogar ziemlich vorhersehbar. Kann man gucken, man verpasst aber auch nichts.
#3 Past Lives Der wiederum ist sehr schön. Auch jetzt kein bahnbrechendes Meisterwerk. Aber eine schöne Geschichte darüber, wie sich Menschen, die sich einmal sehr nahe standen, wieder- und irgendwie doch nicht zueinander finden. Befriedigend unbefriedigend, könnte man sagen.
#4 Barbie Klassisches Beispiel für "doesn't live up to the hype". Ist kein schlechter Film, überhaupt nicht. Im Gegenteil, sogar viel besser als befürchtet. Aber dass ich jetzt trotzdem nicht mehr aus dem Stehgreif weiß, was da eigentlich die Message war, obwohl ich mich dran erinnere, dass ich sie gar nicht so verkehrt fand, zeigt für mich schon, dass ich offenbar nicht sehr beeindruckt war. Vielleicht liegt es schon daran, dass so ein Film natürlich grundlegend trotzdem ein riesengroßer Werbefilm für den Barbie-Hersteller ist. Und sowas gibt bei mir immer direkt Minuspunkte.
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Spendierhosen an?
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Nun gut, das soll's erstmal gewesen sein. Ich bedanke mich für euer zahlreiches Abonnieren. Wenn ihr Anmerkungen habt, könnt ihr direkt auf diese Mail antworten, wobei ich nicht verspreche kann, euch zu antworten. Wenn euch der Newsletter gefällt, schickt ihn weiter, zitiert oder empfehlt ihn. Besorgt euch gern Tickets für meine Tour und noch besser: Holt sie euch lieber heute als morgen, denn das beruhigt alle Veranstalter*innen. Und folgt mir gern auf Instagram, Bluesky, Youtube und meinetwegen auch Twitter.
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